Dr. Uwe Haupenthal (Direktor des Richard Haizmann Museums in Niebüll)
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „LEBENSRÄUME“ von Kathrin Rank im Richard Haizmann Museum, Niebüll am 9.2.2018
Meine Damen und Herren, ein Mann lässt am Meeresufer einen Drachen steigen, nimmt eine charakteristische Haltung ein, wenn auch der Drachen selbst nicht zu sehen ist. Ein Badender steigt in die Fluten des Meeres, wobei sich vor ihm eine Welle auftürmt. Ein Paar tut das Gleiche. Ein Mann sitzt auf Felsen und schaut auf das offene Meer, wobei sich vor ihm die Gischt bricht und einer hantiert an einem Öl- oder Benzinkanister, was zweifelsohne den Blick auf die Naturszenerie noch einmal sensibilisiert. Eine Figur steht in der Abendsonne vor einem Wohnwagen, der in einem Wald abgestellt wurde. Davor ein Hund, der in die Bildtiefe einführt. In anderen Bildern erkennt man zwischen Bäumen ein abermals von innen hell erleuchtetes Zelt. Figuren wandern im Gegenlicht am Strand. Silvesterstimmung in fahlem Licht mit explodierenden Raketen. Eine Frau unter einem Regenschirm spaziert durch eine nächtliche Stadt. Links neben ihr eine Fußgängerampel, Autos, rechts eine weitere Figur in einer Jacke mit hochgezogener Kapuze und ein Hund, der in die Mitte des Bildes drängt. Dort fahren Autos und der Gehweg bzw. die Straße wird von einer Abfolge von Straßenlaternen erleuchtet.
Es sind dies Szenen, die jeder von uns wahrscheinlich tausendmal beobachtet hat. Kathrin Ranks Bilder geben einen komplizierten Bildaufbau vor, der sich jedoch, bei eingehender Betrachtung, nicht nur als wohlgeordnet zeigt, sondern der auch auf wenige, sich ergänzende Wirkungsmomente eingeschworen wurde. Andere Bilder wiederum sind von überraschender Einfachheit. Eine Figur am Strand, ein Hund, eine einzelne Lampe an einer Mole, ein dunkles Wasserbild mit hellen Wellensäumen und einer unregelmäßig ausgesparten Lichtformation am Himmel.
Dennoch gibt es in der Bildabfolge ihres Werkes keinen wirklichen Bruch. Im Gegenteil. Die Szenerien ergänzen sich auf eigenartige Weise. Da gibt es die klassischen Landschaftsbilder mit den Figuren im Vordergrund, die in die Komposition einführen. Da gibt es andererseits typische Freizeitbilder mit Wohnwagen und Zelt. Da gibt es aber auch Bilder aus Innenstädten, von Lampenalleen vor karger Kulisse oder von Straßentunnels oder öffentlichen Unterführungen.
Mit anderen Worten: Kathrin Rank unterläuft bestimmte Sichtweisen auf die Wirklichkeit und bekennt sich mit gleicher Ernsthaftigkeit zum motivischen Gegenteil. Das bedingt motivische Nivellierung und sorgt für eine gänzlich unaufgesetzt wirkende rezeptive Nähe gegenüber dem Betrachter.
Die Malerin holt uns da ab, wo wir stehen, ohne Anklage und ohne aufgesetzt wirkende Wehleidigkeit. Vor allem aber generiert sie aus dieser motivischen Quersumme eine kompositorische, formale, farbliche wie, mit Blick auf die Kunstgeschichte, konzeptuelle Unabhängigkeit. Anders formuliert: Kathrin Ranks Bilder wirken seltsam unverbraucht, obwohl sie immer wieder den einen oder anderen Vorläufer nicht ausschließen. Allen voran denkt man da wahrscheinlich an den Caspar David Friedrich und seine romantisch-kosmische Weltsicht. Vielleicht denkt der eine oder andere auch an die symbolischen Meeresbilder von Arnold Böcklin oder Max Klinger.
Aber wir leben nun mal nicht mehr im 19. Jahrhundert. Naturerfahrung geht für uns immer mit dem prinzipiell vorgetragenen Anspruch einer Naturbewältigung einher. Der Schritt zu einer Ökonomisierung, einerlei, ob nun industriell genutzt, oder ob dieser in unserem Freizeitverhalten angelegt ist, drängt sich in jedweden Kapillaren unserer Wirklichkeitserfahrung auf.
Der tiefgreifende Verlust, den wir vor diesem Hintergrund erleiden, ist der einer Mittellage. Nie waren wir näher an der Natur und nie war die Ehrfurcht vor ihr so gering. Die Erfahrung kosmischer Weite ist scheinbarer, jederzeit verfügbarer Nähe gewichen, wenn sie auch von uns als schmerzlicher Verlust erfahren wird. Der bekannte Satz von Novalis „Romantisieren heißt, dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein geben“ hat seine Gültigkeit eingebüßt. Die Suche nach einem seelischen Klang in der Welt, die uns als deren Teil und nicht als deren Alles-Bestimmer erscheinen lässt, erzeugt Frustration, der wir beispielsweise mit dem Anspruch auf Gewinnmaximierung und noch mehr mit ausgeklügelter Freizeitindustrie begegnen. Demnach leben wir heute, sowohl künstlerisch als auch ästhetisch, unter veränderten Bedingungen.
Kathrin Rank stellt sich dem und nimmt es offenbar als so gegeben hin. Den moralisierenden Zeigefinger zu heben und sich in Anklagen zu verlieren, würde da wenig nutzen, zumal das Paradigma der Moderne, der fortgesetzte Glaube an eine bessere Welt, sich längstens als obsolet erwiesen hat.
Im Gegenzug hat sie eine Ästhetik entwickelt, die nicht nur auf malerische Akzente abhebt, sondern, diese gleichsam im Bild selbst, verschließt. Dem bewegten und lichten Wellenspiel des Meeres setzt sie schemenhaft-dunkle Repoussoirfiguren entgegen, die das Bild gegenüber dem Betrachter verschließen und so zu verstehen geben, dass die wiedergegebene Wirklichkeit eine eigene, autonome Zone beschreibt. Das wiederum eröffnet die Möglichkeit, der Komposition eine feste Struktur zu geben und Momente des Wirklichen aufzunehmen und zu verarbeiten.
So fällt etwa Mondlicht auf die ruhige See und erzeugt einen abgeschlossenen Lichtstreifen. Der dunkle Vordergrund mit seinen Felsstrukturen in einem der „Gezeiten“- Bilder liefert einen malerisch ebenso starken wie individuell bewältigten Vorwand, setzt einen starken Akzent gegenüber dem sich dahinter auftürmenden Wellenberg und der ruhigen Horizontlinie. Und die bereits erwähnte Mole gibt in Relation zu der Laterne und der Horizontlinie eine konstruktive und leicht einsehbare Bildkonstruktion vor. Ein dunkler Himmel wird von einer lichten Wolkenformation durchfahren. Blitze am Himmel geben linear-bizarre Konstellationen vor. Und das sicherlich nicht zum Selbstzweck!
Kathrin Rank braucht ebenso die konkret benennbare Beobachtung der Natur bzw. der Dinge, die sich gegebenenfalls in ihr ereignen wie deren industrialisiertes bzw. technisiertes Gegenmodell. Doch das beschreibt allenfalls den äußeren Rahmen ihrer Malerei. Denn diese verhilft sich mit aller Macht zu ihrem Recht. Geht es doch letztendlich eben um Malerei und um nichts anderes!
Da kann die Strandkulisse in einem fahlen hellen Grün-Rot-Akkord erscheinen. Sie vermag gar eine schemenhafte Figur zu absorbieren. Ein anderes, eher pastellfarben angelegtes Strandbild wiederum besticht in den gefundenen Tönen. Ein Sfumato verhilft dem Bild des Drachensteigers zu einer ausdifferenzierten Farbigkeit, wohingegen das graue Bild von dem Mann, der eine Treppe hinuntersteigt, eine wunderbare Tiefenräumlichkeit erschließt. Der von innen erleuchtete Wohnwagen wie die Zelte erzeugen hingegen ein von ihrer Umgebung gänzlich losgelöste Binnenstruktur. Die aufspritzende Gischt des Meeres bedingt ebenso einen Kontrapunkt zu den, sich verfestigenden Formen wiedergegebenen Wellenformationen wie sie jedwede Vorstellung von Tragen und Lasten und einer damit einhergehenden, räumlich belastbaren Tiefenstruktur von vornherein ausschließt.
Daneben die dunklen Bilder, in denen einzelne Lichtpunkte oder eine entsprechend ausgeleuchtete Fläche entweder eine konstruktiv oder rein malerisch begründete Vorgabe machen. Vielfach mischt Kathrin Rank grau bei, wodurch alles Kitschige und Vordergründige, etwa bei der Wiedergabe eines Sonnenuntergangs, von vornherein ausgeschlossen bleibt.
Die Bilder entziehen sich dem Betrachter und bilden im Gegenzug eine hermetisch geschlossene Zone. Kathrin Rank selbst spricht in diesem Zusammenhang von einer „transparenten Wirklichkeitswelt“ – respektive, je nach dem Grad der Motivauflösung, von einer „Möglichkeitswelt“. Melancholie breitet sich aus. Sie ist die konzeptuell große Klammer zwischen den, zumindest auf den ersten Blick, so heterogen bildnerischen Formulierungen. Melancholie, das ist metaphysische Heimatlosigkeit. Die in der Welt empfundene Einsamkeit des Melancholikers wandelt sich in Indifferenz, wobei der von Kathrin Rank angeschlagene motivische Korpus gleichermaßen vermittelt wie er einen sinnhaften Ausdruck vorhält. Dabei stellt sich jedoch weniger ein Gefühl romantischer Geworfenheit ein, als dass sie ihm auf vielfache Weise einen Schutzraum erschließt. Dieser generiert zwar vermeintliche Sicherheit, steht aber dennoch eine schale Obdachlosigkeit. Kann die Freizeitkultur dem Menschen wirklich etwas anderes geben als den kurzatmigen Effekt? Doch aus gerade diesem Gefühl des Mangels wächst dem Betrachter in Kathrin Ranks Bildern eine neuerlich abstrakte, d. h. aufs Ganze gehende Kraft zu.
Das hell erleuchtete Zelt etwa mutiert unversehens zu einem von seiner Umgebung losgelösten, farblich autonomen Ort. Vertrauen in die Wirkmächte wie in die Möglichkeiten der Bilder ist das Gebot der Stunde. Ist es doch die Malerei selbst, die uns nicht nur den Spiegel, sondern auch einen Rettungsanker vorhält.
Im Unterschied zu Caspar David Friedrich verzichtet Kathrin Rank jedoch auf jegliche, von außen angetragene Symbolik und setzt im Gegenzug auf die Existenz des Bildes, respektive, auf die Art und Weise, wie mit der Wirklichkeit umgegangen wird. Einerlei wie sich die Geschichte entwickelt. Weder die totale Industrialisierung noch die damit einhergehende Freizeitkultur können die Erfahrung existenzieller Freiheit, das Rückgrat der abendländischen Kultur, ersetzen.
Die Bilder von Kathrin Rank verdeutlichen das einmal mehr, indem sie selbstbewusst eine ungeschützte Flanke eröffnen. Ihr muss sich der Betrachter stellen.
Der Himmel so weit
Das Erleben des Kontrasts von sich und Welt schafft eine Lücke, einen Raum – es passiert. Der Betrachter der Bilder Ranks betrachtet den gemalten Betrachter. Bild im Bild.
Die gemalten Figuren im Bild, noch als Silhouetten erkennbar, machen eine unheimliche, ungeheuerliche Begegnung - keine Bühne der Welt des Immergleichen, sondern die Totalität des Augenblicks.
Die Begegnung nimmt eine zufällige, kontingente Form an. Sie verleiht dem Bild in gewisser Weise den metaphysischen Status eines Ereignisses.
Diese romantische Konzeption wird so von der Künstlerin gesteigert, dass sie eine existenzielle Form annimmt. Diese existenzielle Form macht sie uns durch ihre Malerei erfahrbar. Oft experimentell angewandt wird diese Malerei selbst zu einem Ereignis, weder vorhersehbar noch berechenbar. Ein konstruierter, malerischer Augenblick.
Schallenberg, Berlin
Von Farbe geformt
Menschen vor Landschaft, vor Stadtpanorama, vor Lagerfeuer. Kathrin Rank malt Silhouetten in scheinbar idyllischen Gegenlichtsituationen. Doch warum spürt man bei längerer Betrachtung ein leichtes Unbehagen? Ist es die Fensterfront im Flughafen, in die jeden Moment ein Flugzeug donnern könnte, der urinierende Kampfhund, der ein Postkartenpanorama beschmutzt, dunkle Gestalten mit Schirmmützen, die an eine Verschwörung denken lassen? Oder ist es die Oberfläche der freien Malerei, die die Figuren einbettet, überstrahlt, aber gleichzeitig auch wieder auflöst und unsichtbar macht? Der Bildbetrachter steht vor den gemalten Figuren, sieht mit Ihnen in die Ferne und möchte ihnen zurufen „Passt auf, irgendetwas stimmt hier nicht.“ Doch es gibt keine Fortsetzung die folgt. Das Bild ist der eingefrorene perfekte Augenblick, der Schönheit und Unheimliches gleichzeitig in sich trägt.
Kathrin Ranks Bilder zeigen Ein- und Ausblicke und spielen mit der Wirkung von Licht- und Schattensituationen. Figuren werden durch Gegenlicht zu Silhouetten. Der Hintergrund überstrahlt, drängt sich nach vorne und bettet die menschlichen Umrisse in Farbe. Die vordergründige Figuration tritt zurück und wird in Beziehung gesetzt mit der malerischen Auseinandersetzung der Umgebung. Das Gegenständliche wird durch Fläche und Kontur beruhigt. Das Nebensächliche gewinnt durch den Farbauftrag an Bedeutung. Farbe bleibt als abstrakte und auch sinnliche Malerei wahrnehmbar und verwandelt sich gleichzeitig in etwas Dargestelltes. Das Außen wird zum Einfallstor für das Innere, Außenlandschaft wird zur Innenlandschaft.
Sarunas P. Kaiba, Riga